Steve

Steve

Ich hätte sie gerne umarmt.

Steve hat am 2. November 2014 erfahren, dass er an einer akuten lymphatischen Leukämie erkrankt war. Er hatte wegen unerträglicher Bauchschmerzen die Notaufnahme aufgesucht und sein Zustand verschlechterte sich zusehends. Im Krankenhaus sagte ihm ein Assistenzarzt, dass es sich wahrscheinlich nur um eine Lappalie handele und er noch am gleichen Abend nach Hause könne. Aber weit gefehlt. Die Diagnose wurde einige Stunden später gestellt: Leukämie in ihrer akutesten Form. Steve und seine Freundin hatten vor einem Monat ein Grundstück gekauft. Und jetzt musste er seine Eltern anrufen, um ihnen mitzuteilen, dass er Krebs hatte. 

Steve hat den Rat seiner Freunde befolgt und Professor Zachée, einen Hämatologen, konsultiert. Eine Knochenmarkpunktion ergab, dass sich 75% der Krebszellen im Knochenmark angesiedelt hatten. Nachdem der Leukämietyp festgestellt worden war, stellte sich schnell heraus, dass Steve auf jeden Fall über kurz oder lang eine Stammzellentransplantation brauchen würde. Folglich begann man unverzüglich mit der Suche nach einem Spender.

Es folgten mehrere Chemotherapie-Zyklen. Steve musste lange Zeit in einem Isolierzimmer bleiben. Von Zeit zu Zeit durfte er für einen Tag nach Hause. So zum Beispiel an seinem 30. Geburtstag. Nach sechs Monaten erlitt er einen Rückfall: Die bis dahin durchgeführte Chemotherapie war offensichtlich nicht stark genug gewesen. Professor Zachée entschied, auf die schwerste Form von Chemotherapie überzugehen. Keine einzige Krebszelle durfte überleben. Es war sozusagen Steves letzte Chance. Eine erneute Knochenmarkpunktion 8 bis 10 Tage später brachte das gewünschte Resultat: Die Krebszellen waren verschwunden. Die belastende Behandlung konnte fortgesetzt werden. Es folgten mehrere Bestrahlungen, die verheerende Schäden in seinem Körper anrichteten.

Dann kam der Moment, als er Stammzellen brauchte. Seine eigenen Stammzellen waren unbrauchbar. Steve hatte keine Geschwister. Die Rettung konnte folglich nicht von den nächsten Familienangehörigen kommen. Professor Zachée hat sich an die Stammzellenspender-Register gewandt: zunächst in Belgien, dann auf internationaler Ebene. In erster Linie konnte eine 80%ige Übereinstimmung gefunden werden (ab diesem Prozentsatz ist eine Transplantation möglich). Die Suche wurde fortgesetzt und schließlich konnte ein 90%iges Match mit einer Deutschen gefunden werden. Steve erhielt die Stammzellen am 11. Juni 2014. 

Aber sie wurden abgestoßen. Steve litt unter schweren Magen-, Darm- und Hautproblemen. Eine Zeit mit starken Medikamenten und massiven Kortisongaben begann. Er konnte nicht mehr essen und musste intravenös ernährt werden. Steve, der zuvor 73 kg gewogen hatte, brachte nur noch 51 kg auf die Waage.

Im August 2014 konnte Steve nach Hause, musste aber weiterhin Medikamente und Kortison nehmen. Ende August kam es neuerlich zu einer Abstoßungsreaktion und er musste für drei Monate ins Krankenhaus.

Im Dezember konnte er wieder nach Hause. Vor seine Erkrankung hatte Steve an den „10 Miles“ teilgenommen. Jetzt musste er sich nach dem Treppensteigen 10 Minuten hinlegen. Die Kortisondosen wurden schrittweise gesenkt und 2015 konnte er wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Allerdings nur drei Tage pro Woche.

Am 11. Juni 2016, genau zwei Jahre nachdem er die Stammzellen erhalten hatte, hat Steve seine Freundin Freya geheiratet. Reiner Zufall, aber trotzdem ein schönes Zusammentreffen. 

Steve geht es seither besser. Er arbeitet jetzt 4/5. Er nimmt immer noch Medikamente und Kortison, da die Dosen langsam verringert werden müssen.  Aber er hält sich gut. 

Steve hat aus Deutschland ein handgeschriebenes Kärtchen von der Frau, die ihm mit ihren Stammzellen das Leben gerettet hat, erhalten. Sie hat ihm viel Glück und gute Besserung gewünscht. Steve hat ihr zurückgeschrieben. „Ich hätte sie gerne umarmt, aber leider darf ich nicht wissen, wer sie ist.“